Friedrich Gustav Klemm
Kathrin Semechin
Gustav Friedrich Klemm, der allgemein knapp als Kulturgeschichtsforscher oder auch Kulturhistoriker bezeichnet wird und langjährig als Königlich-Sächsischer Oberbibliothekar in Dresden wirkte, prägte in der Mitte des 19. Jahrhunderts maßgeblich das Profil der Völkerkunde. Zwischen Naturwissenschaftlern und Medizinern steht er als Historiker in dieser Wissenschaft nahezu allein. Klemm erweiterte und profilierte den Forschungsbereich der Kulturgeschichte durch die Einbeziehung archäologischer und ethnologischer Quellen. «Kultur» faßt er dabei im weitesten Sinne, beginnend «sowie der Mensch von der Vorsehung in die Natur gestellt wird, sowie er die Frucht vom Baume bricht. » 1 Kulturgeschichte wie auch Kulturwissenschaft, beides «Wissenschaften der Erfahrung»2 , haben seiner Meinung nach die «Aufgabe, die Menschheit der Natur gegenüber als ein Ganzes, als ein Individuum darzustellen.»3 Diesem Ziel dienend sollen alle Denkmale menschlicher Tätigkeit sowie alle Zeugnisse geistiger Tätigkeit der Menschen untersucht werden.
Diese Forderung erfüllte Klemm selbst in seinen Studien und seinem Wirken, besonders nachhaltig erkennbar im von ihm geschaffenen «Museum Klemmianum». Ursprünglich trug er dort Dinge aus der heimischen Vergangenheit zusammen, legte aber zunehmend Wert auf völkerkundliche Gegenstände aus allen Regionen der Erde.
So entstand eine in ihrer Art einzigartige Sammlung, der ein besonderer Platz in der Geschichte des Museumswesens zukommt. Mehrfach äußerte sich Klemm zu Inhalt und Gliederung der Sammlung und legte deren Struktur seinen Werken zugrunde. Überhaupt bot wohl die Vielfalt seiner Sammlung im Zusammenwirken mit der des Historischen Museums Dresdens die Grundlage für seine Studien und Werke. Das 1843 erschienene Bändchen «Fantasie über ein Museum für die Culturgeschichte der Menschheit»4 beweist diesen Zusammenhang nachdrücklich.
Als Sinn und Zweck seiner Sammlung bestimmt Klemm «die Entstehung und den Fortschritt der verschiedenen menschlichen Gewerbs- und Kunsterzeugnisse aus den von der Natur im Stein-, Pflanzen- und Tierreiche dargebotenen Stoffen und Gestalten durch Tatsachen und Körper nachzuweisen».5
Leider existiert von Gustav Klemm nur ein Bruchteil seines schriftlichen Nachlasses, der umfassendere Teil scheint wohl vernichtet worden zu sein. So läßt sich die Entstehung der Sammlung nur schemenhaft nachzeichnen, und auch Aussagen über Klemm sind entweder durch seine Werke oder aus dem Briefwechsel mit Zeitgenossen abzuleiten.
Gustav Klemm wurde am 12. November 1802 in Chemnitz als Sohn eines Königlich-Sächsischen General- Accis- Obereinnehmers geboren. Dem Schulbesuch in Chemnitz folgte ab 1821 ein Studium an der Leipziger Universität. Obwohl von den Verwandten für eine Juristenlaufbahn vorgesehen, widmete sich Klemm bereits hier intensiven historischen Studien.
Seine Vorliebe galt der Geschichte des Mittelaltars und der Kulturgeschichte. Sicher fußen diese Ambitionen auf einer bereits in früher Kindheit ausgeprägten Sammelleidenschaft für historische Gegenstände – einer Leidenschaft, die sich bis ins hohe Alter hielt. Klemm selbst spricht später von seiner Sammlung, «deren Anfänge bis in die Tage meiner Kindheit, bis ins Jahr 1811 hinaufreichen.»6
1825 promovierte Klemm in Jena mit einer Abhandlung über «Die zweckmäßige Einrichtung einer Bibliothek» zum Dr. phil., da sein ursprünglicher Wunsch, als Bibliothekar zu arbeiten, sich zunächst nicht erfüllen ließ. Mit der Annahme einer Redakteursstelle beim Nürnberger «Friedens- und Kriegskurier» unterbrach er Ende 1830 zunächst seine Gelehrtenlaufbahn.
1831 ließ sich dann bereits sein ursprünglicher Wunsch realisieren: Klemm wurde zum 2. Sekretär der Königlich-Sächsischen Bibliothek, die derzeit im Japanischen Palais untergebracht war, nach Dresden berufen. Bereits 1833 erweiterten sich seine Aufgaben durch das ihm übertragene Inspektorenamt an der Königlich-Sächsischen Porzellan- und Gefäßsammlung, deren Leitung er später übernahm und die er «trotz seiner ununterbrochenen Tätigkeit als Bibliothekar durch ebenso planvolle Umgestaltung als gründliche Beschreibung gleichsam neu geschaffen hat.»7. 1834 wurde Klemm zum Bibliothekar der Königlichen Bibliothek ernannt, 1852 dann als Oberbibliothekar deren Direktor und zeitgleich Hofrat.
Die Tätigkeit in seinen Ämtern begleitete eine umfangreiche schriftstellerische Arbeit. In den zwei Jahrzehnten seines Wirkens in der Königlichen Bibliothek entstanden über 20 Werke, häufig mit mehreren Bänden. Im gleichen Zeitraum erweiterte Klemm seine Sammlungen beachtlich. Zunächst bevorzugte er germanische Altertümer, wohl vor allem im Hinblick auf die Arbeit am «Handbuch der germanischen Altertumskunde».8
Zunehmend aber fügte er Exponate aus ferneren Gegenden hinzu, Heimatgeschichte in größere regionale und historische Zusammenhänge einordnend und Völkerkunde umfassender betrachtend. Neue Stücke erwarb er durch Tausch von Dubletten oder von Freunden, aber auch von Reisenden und bei «Gelegenheitskäufen». Häufig bekam Klemm persönlich an ihn gerichtete schriftliche Angebote. Für die Vervollständigung seiner Sammlung verwendete Klemm den größten Teil seines Einkommens.
Klemms wissenschaftliche Leistungen und sein Museum erfreuten sich weit über Dresden und Sachsen hinaus eines guten Rufes. Die Sammlung — nicht nur von Freunden betrachtet und bewundert — wurde wegen ihres Umfanges für Klemm allmählich zur Last. 1840 bot er sie dem sächsischen Staat erstmals zum Kauf an. Unstimmigkeiten über ihren Wert verhinderten den Ankauf. Sicher nur zugunsten seiner Sammlung bezog die Familie Klemm im gleichen Jahr ein Haus auf der Königsbrücker Straße, das wohl mehr musealen Zwecken als dem Wohnen dienen sollte. Wiederholt bot Klemm dem sächsischen Staat die Sammlung zum Kauf an, da er sie gern der Vaterstadt erhalten wollte. Seine Sammlung hätte sicher zusammen mit der des Historischen Museums eine sehr beachtliche völkerkundliche Sammlung entstehen lassen und so der Entwicklung der noch jungen Völkerkunde wichtige Impulse verleihen können. Statt dessen wurden nach Klemms Tod Teile des «Museum Klemmianum» an das Britische Museum in London gegeben, der Grundstock ist noch heute Bestandteil des Museums für Völkerkunde in Leipzig.
Ein 1861 beginnendes Augenleiden belastete Klemm zunehmend und untersagte ihm weitere schriftstellerische Arbeiten. 1863 trat er gezwungenermaßen in Wartegeld und ein Jahr später in Pension. Die letzten Lebensjahre verbrachte er zurückgezogen und sorgte sich nach Kräften um seine Sammlung. Pläne zur Neubearbeitung einiger Werke, u. a. der «Culturwissenschaft», mussten unerfüllt bleiben.
Am 25. August 1867 starb Gustav Friedrich Klemm, sein eigentliches Lebenswerk, das Museum, dem einzigen Sohn hinterlassend.
1871 erwarb ein speziell zu diesem Zweck gegründetes Komitee die Klemmsche Sammlung (nachdem bereits ein Teil nach London verkauft worden war – siehe oben) als Grundstock eines «Deutschen Zentralmuseums für Anthropologie zu Leipzig». In diesem späteren Museum für Völkerkunde wurde Gustav Klemm ein bleibendes Andenken gewahrt.
Klemms in den Werken vertretene Theorien sind größtenteils von der fortschreitenden Entwicklung der Wissenschaft überholt worden, was detailliert zu beurteilen Ethnologen überlassen bleiben soll. Seine Verdienste auf dem Gebiet der Kulturgeschichte zu seinen Lebzeiten bleiben zu würdigen. Als ein «Einzelgänger» zu einer Zeit, da die Völkerkunde fast ausschließlich aus naturwissenschaftlicher Sicht betrachtet wurde, verdient er als Historiker einen gebührenden Platz in der Wissenschaftsgeschichte.
Man kann Klemms 10-bändige «Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit» (1843-1852) und das 6-bändige Werk «Die Frauen» (1854-1859) als das Substrat seiner kulturgeschichtlichen Forschungen betrachten. Seine auf fünf Bände geplante «Allgemeine Culturwissenschaft» blieb mit zwei erschienenen Bänden (1854 und 1855) unvollendet.
Kathrin Semechin, Gustav Friedrich Klemm, aus Geschichte im Wald – Das Kulturlandschaftsmuseum im Wermsdorfer Wald, Band 1 Schriftenreihe der Friedrich-Gustav-Klemm-Gesellschaft, S. 7-10
1) Gustav Klemms Grundideen zu einer allgemeinen Culturwissenschaft. In: Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. 1851, S. 167.
2) Ebd., S. 168.
3) Ebd., S. 168.
4) Klemm, Gustav: Fantasie über ein Museum für die Culturgeschichte der Menschheit. Dresden 1843.
5) Klemm, Gustav: Freundschaftliche Briefe. Zweite vermehrte Auflage. Leipzig 1847, 1850, S. III.
6) Ebd., S. XVIII.
7) Falkenstein, Karl: Beschreibung der Königlich-öffentlichen Bibliothek zu Dresden. Dresden 1839, S. 5; Falkenstein war zu dieser Zeit Klemms vorgesetzter Direktor.
8) Klemm, Gustav: Handbuch der germanischen Altertumskunde. Dresden/ Zerbst 1836